Die Zeit
Nr. 30 20.Juli 2000

Von Urzeitkrebsen und Pupsmaschinen

Es ist soweit -Yps wird eingestellt. Die Fans schreiben Protestmails und Reinhard Haas hat einen Kloß im Hals: 25 Jahre hat der Tüftler den wichtigsten Teil zum Heft beigesteurt: Die Gimmicks
Von Ralph Geisenhanslüke

Der Prototyp kam aus Japan: ein Speed-Wind-Surfer, der zu Lande und zu Wasser fahren sollte. Doch kaum war er richtig in Fahrt, kippte die Konstruktion aus Plastik und Styropor einfach um. Immer und immer wieder. Einfach so. Reinhard Haas konnte das nicht akzeptieren. Dinge, die nicht klappen, lassen ihm einfach keine Ruhe. Also ging Herr Haas runter in seinen Hobbykeller und prüfte, grübelte, probierte. »Wir müssen die Achse um drei Zentimeter verbreitern, und wir brauchen Räder aus schwimmfähigem Material«, sagte er schließlich. »Dann funktioniert's.« Das war vor vier Monaten.

Während Herr Haas heute davon erzählt, befindet sich der kleine Surfer in einem Container. Der steht auf einem Schiff, das aus Hongkong kommt. Ein ganzer Container voller kleiner Surfer. Ende August werden sie in den Läden liegen - mit einem Comicheft, eingeschweißt in eine Plastiktüte: Fünf Teile zum Zusammenstecken, auf dem Segel lacht das berühmte karierte Känguru mit dem Reißverschlussbeutel. »Yps mit Gimmick 1250« wird darauf stehen. Und wie jede Woche werden Kinderaugen glänzen, werden kleine, feuchte Hände die Tüte aufreißen und sofort ausprobieren, was diesmal drin ist. Wenn alles funktioniert, hat Herr Haas einen guten Job gemacht.

Gimmicks? Gibt es jemanden, der sie nicht kennt? In der Sprache von Marketingmenschen ist ein Gimmick ein ungewöhnlicher Werbetrick, eine lustige Beigabe zu einem Produkt. Für die Leser von Yps bedeutet das Wort: jede Woche ein neues, möglichst ausgefallenes Spielzeug. Ein Schieß-wörterbuch, ein Glibberei, eine Klebekröte, eine Pupsmaschine, eine Stirnlampe, eine Gelddruckmaschine oder ein Faltfernglas zum Beispiel. Dinge, die die Welt nicht braucht - Kinder aber umso dringender. Für Menschen zwischen 5 und 50 ist Yps Bestandteil ihrer Biografie wie die erste Schultüte. Die aus bis zu 30 Teilen bestehenden Gimmicks gehörten zur Kindheit, bis man neugierig wurde auf andere Basteleien - und die Bravo-Praxis von Dr. Sommer betrat.

Nun soll Schluss sein: Mitte Oktober, mit Nummer 1253, stellt der »superheiße Combi-Comic mit Gimmick« das Erscheinen ein. »Eine Denkpause«, sagt der Verlag - und verspricht, eventuell Ende nächsten Jahres mit einem neuen Yps herauszukommen. Wer die Sprache von Verlagsmenschen kennt, liest aus diesen Worten das endgültige Aus.

Das Schleuderpult schlug sensationell ein

Unmittelbar nach Bekanntgabe ging ein Aufschrei durchs Land: »Rettet YPS!«, forderte zum Beispiel der Mediendienst kress. Mitarbeiter seiner Internet-Seite posierten weinend mit ihren Lieblingsheften - und nahmen Hunderte von Protest-Mails in Empfang. »Nie wieder Gimmicks?«, fragte bang die Zündfunk-Redaktion des Bayerischen Rundfunks. Im Forum von Bild stand der Aufruf: »Lasst uns Yps-Hefte kaufen, bis die Druckmaschinen heißlaufen!« Auf der Homepage yps.de. forderten Fans dagegen zum Boykott des Ehapa-Verlages auf, der rund 90 Prozent des deutschen Marktes für Kinder-Comics beherrscht und Yps Anfang 1999 von Gruner + Jahr übernommen hatte. Mit der Einstellung von Yps, fürchten die erwachsenen Fans, wolle Ehapa einen lästigen Konkurrenten beseitigen.

Ursprünglich nach dem französischen Vorbild PIF Gadget konzipiert, schrieb YPS in den siebziger Jahren eine einmalige Erfolgsgeschichte. Als Gruner + Jahr die ersten Testhefte herausbrachte, kämpften rund 70 Comictitel um das Taschengeld des Lesenachwuchses. Aber das waren nur Comics. Keiner hatte ein Gimmick. Schon Yps-Gimmick Nr. 1, Das Schleuder-Katapult, schlug sensationell ein, obwohl das kleine Gestell aus Kunststoff zu nichts weiter taugte, als kleine Plastikkügelchen durch die Gegend zu schießen. Nach einem Jahr hatte Yps eine wöchentliche Auflage von rund 350 000 Stück. In Spitzenzeiten erreichte das Heft, in dem damals Top-Comics wie Lucky Luke abgedruckt wurden, sogar über 600 000.

Das ist lange her. Im ersten Quartal 2000 ging der inzwischen arg verkleinerte Titel gerade noch 80 000-mal pro Woche über den Ladentisch. Pokémon und Sega stehen bei der Kernzielgruppe zwischen acht und zwölf höher im Kurs. Heute hat jeder Comic ein Gimmick, und selbst das Ehapa-Flaggschiff Mickymaus, das einstmals über einer Million Exemplare lag, ist davon heute weit entfernt.

Den Anschluss an »die Zapper-Generation«, wie Reinhard Haas sie nennt, hat Yps offenbar verloren. 73 Prozent der großen und kleinen Kinder, die das Heft heute noch lesen, spielen am liebsten Computer- und Videospiele. Mehr als 20 Prozent geben an, eine eigene Homepage zu haben. Dafür sind die Eltern umso engagierter. Thomas Jäpel aus Hamburg zum Beispiel: Der 31-Jährige vertreibt Computerspiele. Aber er hat gerade für 80 Mark Yps-Hefte bestellt. Das Gewächshaus-Gimmick mit den Tomaten hätte ihn beinahe dazu gebracht, den Beruf des Gärtners zu ergreifen, sagt er. Die wöchentliche Spielerei fördere nicht nur »die Hand-Augen-Koordination«, Jäpel setzt das Heft auch zur Mitarbeitermotivation ein: »Wenn jemand etwas Gutes gemacht hat, gibt's ein Yps.« Da kann es schon mal passieren, dass alle im Büro auf dem Boden sitzen und den »Edelsteinwaschsand« ausprobieren.

Florian Schramm, 22, Werbekaufmann aus Stuttgart, schwärmt noch immer von den Handschuhen mit den Klebehänden. Urban Bock, Jurastudent in Bayreuth, »fühlte sich selten so alt« wie an dem Tag, als er die Nachricht vernahm. Kommilitone Felix Gräfe, ebenfalls 22, erinnert sich immer noch an die »Viereckigen Eier«, die nur mit Gewalt eckige Form annahmen. Mit dem Phantombildalbum ist er damals sogar tatsächlich zur Polizei gegangen, um einen verdächtigen Mann zu beschreiben, der im Park um ihn und seine Freunde herumgeschlichen war. »Die Sachen haben immer so gerade eben funktioniert und nie lange gehalten«, sagt Gräfe. »Durch Yps lernte man auch etwas über die Vergänglichkeit der Welt.« Für Richard Jebe, 24, aus Braunschweig war das schönste Gimmick das Abenteuerzelt: »Das war nur eine Mülltüte. Die gab es auch mal als Regenmantel.« Nicole Teriete, 22, aus Frankfurt setzt Yps bei ihrer Arbeit im Kinderhort ein. Sie ist empört über die Einstellung. Werden ihre Schützlinge vielleicht niemals einen Ostereierbaum pflanzen?

Ein Mann aber dürfte in diesen Tagen den dicksten Kloß im Hals haben: Reinhard Haas. Seit 25 Jahren ist Herr Haas der Vater aller Gimmicks. Ursprünglich war er Druckereitechniker. Aber mit einem Schlag war er nicht mehr nur dafür zuständig, dass Zeitungen ordentlich gedruckt und pünktlich vom Hof gingen. Bei Yps musste er eine weltumspannende Logistik beherrschen, um Woche für Woche Kinder zu beglücken. Sechs Monate Vorlauf hat so ein Gimmick. Den Pocket- Drachen, der zurzeit im Handel ist, hat der 51-Jährige um Weihnachten draußen auf der Wiese steigen lassen, bis der wirklich flug- fähig war.

Ein Flugobjekt aus Folie löste Ufo-Alarm aus

300 bis 500 Vorschläge prüften Haas und sein Team jedes Jahr. Angebote von Erfindern, Entdeckungen auf Spielwarenmessen, Katalogware aus dem Ausland. Obwohl die Redaktion auch unter den Lesern nach dem »Leonardo da Gimmick« suchte, kamen von den Kids kaum brauchbare Ideen. Etwa 80 Gimmicks schafften es pro Jahr in die engere Wahl. Dann begann die eigentliche Arbeit. Denn Spielzeug ist nicht gleich Spielzeug. Stapelweise DIN-Normen gilt es zu erfüllen, und der TÜV will auch prüfen. »Unsere Welt ist kompliziert geworden und damit auch das Spielzeug«, sagt Haas. »Früher hat es gereicht, wenn eine Eisenbahn im Kreis gefahren ist. Wenn man heute etwas Neues macht, muss es mindestens hydraulisch und elektronisch sein.«

Der Gimmick-Stress ist Haas im Laufe der Jahre manchmal ziemlich auf die Nerven gegangen. Es konnte passieren, dass er nach Hause kam und nicht einmal mehr seine eigenen Kinder ertrug. »Wenn ein Schiff in LeHavre mit Maschinenschaden liegen bleibt, und Ihr Container steht ganz unten drin, interessiert es den Havarie-Kommissar überhaupt nicht, dass da Gimmicks drin sind. Da müssen Sie warten, bis auf ein anderes Schiff umgeladen werden kann. Einmal ist auch ein Zug bei Hannover entgleist, aber die Gimmicks waren gottlob! noch brauchbar.« Haas hat sich angewöhnt, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. Er selbst ist »überhaupt kein Spieler«. Spielen - das bedeutet für ihn »eher ein Prüfen und Verbessern«.

Was kann bei einem Gimmick nicht alles schief gehen. Schon die Idee, Fingerabdrücke mit Talkum und Grafitpuder sichtbar zu machen, führte zu Verwerfungen in deutschen Haushalten. Oder das U-Boot mit dem Zitronensäureantrieb. Funktionierte prächtig. Der Antrieb gaste, dabei entstand Natriumbikarbonat. So harmlos - damit konnte man sogar in der Badewanne spielen. Auf Marmorfliesen aber hinterließ das Zeug hässliche Ränder. Auch riefen immer wieder mal entsetzte Mütter an, wenn ihre Kleinen ein paar Urzeitkrebse verschluckt hatten. Haas kennt und fürchtet die Produkthaftungsgesetze.

Niemals in 25 Jahren musste ein Kind wegen Yps ins Krankenhaus. Doch ein spektakulärer Zwischenfall trug sich im Juni 1980 in Hamburg zu. Auslöser war das »Solar-Ufo«. Dabei handelte es sich um eine dünne, schwarze Folie, die mit Luft gefüllt wird. Von der Sonne aufgeheizt, stieg das drei Meter lange Flugobjekt bald auf und sollte wie ein Drachen an der Schnur gehalten werden. In der Nähe des Flughafens Fuhlsbüttel hatten ein paar Kinder das offenbar vergessen. Die schwarzen Zigarren stiegen mehrere hundert Meter hoch. Verschreckte Bürger griffen zum Telefon. Die Flugsicherung hielt eine Boeing 727 am Boden zurück und warnte alle Maschinen im Luftraum Hamburg: Ufo-Alarm! Erst einem Polizeihubschrauber gelang es, die Solar-Ufos mit dem Abwind seiner Rotorblätter zu Boden zu drücken, wie das Hamburger Abendblatt berichtete. Die Flugaufsicht verfügte ein Startverbot für Solar-Ufos gemäß Paragraf 29 des Luftverkehrsgesetzes .

Wenn Haas heute über die zurückliegenden Jahre spricht, klingt es, als habe er ständig am Rande der Katastrophe gelebt. Aber er wird die »25 Jahre Abenteuer« vermissen. Ständig musste er sich auf Neuland wagen, sich mit der Serienproduktion von Elektronikteilen oder dem optimalen Nährboden für Pflanzenkeimlinge vertraut machen. Aber genau diese Neugier in Verbindung mit einer ziemlich deutschen Gründlichkeit hat das Gimmick zu dem werden lassen, was es heute ist: einem Teil unseres kulturellen Erbes. Es heißt übrigens nicht der Gimmick, sondern das Gimmick. Darauf legt Herr Haas Wert. Und auch darauf, dass bei Yps nie etwas weggeschmissen wurde; bis Mitte nächsten Jahres werden die Restbestände noch verkauft. Danach wird - sollten die Protestaufrufe nicht fruchten - Yps nur noch eine Erinnerung für die Generation Y sein.


* Die bekennenden "Yps"-Leser fand ich im Gästebuch auf der Homepage yps.de. Mancher war erstaunt, dass die ZEIT sich mit dem Thema beschäftigt. Alle erzählten jedoch fröhlich aus ihren Kindheitserinnerungen: Wie sie das Glas mit den Urzeitkrebsen mal wieder auf der Heizung vergessen hatten oder wie ihre pazifistischen Eltern Bedenken hatten wegen der vermeintlich aggressiven Schießspielzeuge. Meine eigene Geschichte mit "Yps" endete, als ich mit elf meinen ersten eigenen Plattenspieler bekam. Fortan lungerte ich ganze Nachmittage im örtlichen Plattenladen herum. Mein Taschengeld reichte nur für eine Single pro Woche. Da blieb nichts mehr übrig für Comics.

© beim Autor/DIE ZEIT 2000 Nr. 30
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