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19.September 1997

Der Yps-Faktor

Preiskrieg bei Zeitschriften: Beigabe verkaufsfördernder Kleinigkeiten boomt

Jeden Montag das gleiche Lied: "Krieg ich das neue Micky Maus?" kräht der sechsjährige Jonas. Der Steppke kann zwar noch nicht lesen, ihn interessieren allein die eingeschweißten Beigaben des Comic-Klassikers. Ob Tiefseekrabbeneier, hüpfende Wunderknete oder ein mehrteiliges Abenteuerset, das Billigspielzeug aus fernöstlicher Produktion findet bei den Kids reißenden Absatz. Vor allem die Mehrteiligkeit sorgt für stete Nachfrage: Unvollständig machen die Gimmicks keinen Sinn.

Von der "Micky Maus" wanderten in diesem Jahr Woche für Woche knapp 800 000 Hefte an die Käufer, vor der Einführung der Gimmicks waren es bis zu einem Fünftel weniger. Pionier des Yps-Prinzips ist der gleichnamige Comic aus München, der schon seit Jahren mit den Gimmicks gegenüber der "Micky Maus" Boden gutmachen will. Heute ist der Markt der Jugendzeitschriften noch dichter besetzt, wer nicht mit Mehrwert aufwarten kann, besitzt schlechte Karten. So locken auch Sportmagazine wie "Limit" und "Bravo Sport" mit Fußballaufklebebildchen, "Hit! Das Showbizmagazin", Newcomer in Deutschland, bringt mehrmals im Jahr eingeschweißte Fan-Booklets, Türanhänger oder Leuchtsticker ­ "und das alles zum regulären Heftpreis", wie der Verlag betont. Die Kosten für diese beigelegten Kleinigkeiten, sogenannte Give-Aways, werden durch den Mehrverkauf mehrfach gedeckt. Dank ihnen läßt "Hit!" die etablierten Teenmagazine "Pop/Rocky" oder "Popcorn" im Kioskverkauf hinter sich.

Videos als Beilage Was den Kids recht ist, soll Erwachsenen nur billig sein. "Downtraiding heißt der Marketingtrend dieses Jahres", erklärt der Verlagsberater Peter Wippermann. Soll heißen: Das eigentliche journalistische Produkt wird billiger und dünner, das Yps-Prinzip, die Beigabe kauflustfördernder Give-Aways, dagegen boomt. Vorreiter im Erwachsenenmarkt waren Zeitschriften wie "Cinema" und "Videoplay", die schon 1995 vierteljährlich Videos mit Neuheiten beilegten.

Die Frauenmagazine folgten nach: Bei wachsender Titelzahl und Kauflust der Frauen sind die Verlage über jede verkaufsfördernde Idee glücklich. Nachdem etwa dem Monatsmagazin "Petra" in einem Jahr jede fünfte Leserin abhanden gekommen war, griff der Jahreszeitenverlag vor über zwei Jahren zum Rettungsanker Gratisvideo ­ und wurde zum Wiederholungstäter. Konkurrentin "Cosmopolitan", mit ähnlichen Akzeptanzproblemen behaftet, versuchte es mit Gedrucktem: Im Sommer 96 fand sich erstmals ein Buch in Miniformat mit Kurzgeschichten auf dem Titel. Das Mini-Buch "Astrologie im Sommer", das "Petra" auf dem Mai-Titel hatte, gehört heute bereits zum Standard.

Diesen Sommer entdeckten Magazine den Reisemarkt für sich: "Brigitte" legte einen Tourführer durch Frankreich bei, "Der Feinschmecker" schmückte sein Cover mit einem kulinarischen Einkaufs-Special. Vorreiter hier: Das Magazin "Max" und dessen Lifestyle-Version des Baedekers im Miniformat, kurz Cityguide genannt. Bei "TV Today" fand man die Idee mit dem Mini-Booklet so gut, daß man dem Heft kurzerhand einen "Handyguide" beilegte.

Doppelter Nutzen Auch Musikzeitschriften haben den Wert des Mehrwerts erkannt: "Metal Hammer", "Sounds/Musik Express" oder "Rolling Stone" sind regelmäßig mit CDs bestückt. Sogar "Max" schmückte seine April-Ausgabe mit einer CD, auf der Künstler wie der bis dato nur Insidern bekannte algerische Rai-Star Khaled vorgestellt wurden. Mit doppelterm Effekt: Die Musikindustrie wirbt für ihre Newcomer, und "Max" verkauft mehr Hefte. 270 000mal wanderte die April-Nummer über die Ladentische, deutlich mehr als die Ausgaben davor und danach.

Bei unseren südländischen Nachbarn ist man in Sachen Give-Away-Kultur bereits ein Stück weiter. In Italien und Spanien werden den Magazinen auch Produkte beigelegt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Themen des Heftes stehen: Nagelnecessaires, Tonbandkassetten oder Parfümflacons. Dem spanischen Blatt "Nuevo Clan" war einmal sogar eine 100-Peseten-Münze eingeschweißt beigelegt: der Heftpreis.

Trendexperte Wippermann nennt so etwas "Showdown im Blätterwald", denn die Dauerdeko der Magazine ist nur ein verdeckter Preiskrieg der Verlage. Die Gimmicks sind das Sahnehäubchen, der ausschlaggebende Kick beim Kaufrausch am Kiosk. Die Frage ist, ob derartige Leserwerbung Erfolg haben wird, oder ob der Kick nicht zum Knockout führt. Wippermann: "Was die Neugier anregt und zum Kauf verführt, wird schnell zur Überreizung." Spätestens dann, wenn sich die Beigaben zu Hause sammeln. Oder wenn Kunden die Zeitschriften beim Händler liegenlassen, weil sie sich nur für die Gimmicks interessieren. Anders Jonas: Er hebt seine "Micky Maus"-Hefte für später auf ­ wenn er lesen kann.

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